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Willy [German translation]
Willy [German translation]
turnover time:2024-11-07 09:49:51
Willy [German translation]

Ach, Willy, jetzt, wo ich dich so daliegen sehe, so weit weg hinter dieser Glasscheibe, genau ein Leben zu weit weg, da denke ich mir doch, es hat wohl so kommen müssen – manchmal glaube ich, du hast es so gewollt, Willy!

Angefangen hat das ja alles siebenundsechzig, weißt du es noch?

Wir beiden sind mitgelaufen für die Freiheit und den Frieden, mit großen Augen, und geschrien haben wir:

„Bürger, lasst das Glotzen sein,

kommt herunter, reiht euch ein!“

Und du, du warst immer einen Tick weiter als wir – immer ein bisschen wilder und ein bisschen ehrlicher.

Wir haben es ihnen zeigen wollen, Willy, und du hast mir damals schon gesagt: „Freiheit, Wecker, Freiheit heißt, keine Angst zu haben, vor niemandem!“ Aber sind wir doch ehrlich, ein etwas flaues Gefühl haben wir doch damals schon gehabt, wegen all der Spinner, die einfach mitgelaufen sind weil's passt. Wegen der Sonntagnachmittagsrevoluzzer: die die Freundin ohrfeigen, wenn sie einen andern anschaut, aber über die bürgerliche Moral herziehen! Dieselben, Willy, die jetzt brav das Maul halten, weil sie sonst Probleme bekommen! Und du hast damals schon gesagt: „Lange dauert das nicht, da ist zuviel Mode dabei, wenn schon die Schickeria ihren Porsche gegen einen 2 CV umtauscht, dann muss irgendwas faul sein an der großen Revolution – mitlaufen ohne Denken kann nicht gut sein, auch nicht für eine gute Sache!“

Gestern haben sie den Willy erschlagen,

und heut, und heut, und heut wird er begraben!

Gestern haben sie den Willy erschlagen,

und heut, und heut, und heut wird er begraben!

Dann hast du plötzlich mit dem Saufen angefangen, und ich glaube, ein bisschen aufgegeben hast du damals schon. Ich verstehe dich, das ist ja kein Wunder, wenn man bedenkt, was alles aus den großen Kämpfern geworden ist. Heute denken sie ja schon mit siebzehn an ihrer Rente, und die Mädel schütteln weise den Kopf, wenn die Mutter ihrem Mann das Zeug hinschmeißt und sagt: „Mach doch deinen Krempel alleine, ich möchte leben!“ Trotzdem, Willy, man muss weiterkämpfen, kämpfen bis zum Umfallen, auch wenn die ganze Welt den Arsch offen hat – oder gerade deswegen!

Und irgendwann hast du dann angefangen, die echten Leute zu suchen, die, die nicht dauernd „Ja, Herr Lehrer!“ sagen – hinten in diesen Kneipen am Viktualienmarkt und am Bahnhofseck. Echter sind die schon, Willy, aber ich habe dich gewarnt, aufpassen musst du bei denen, weil das Geschlagene sind, und wer dauernd getreten wird, der tritt halt auch einmal zurück! Aber du hast keine Angst gehabt, ich kenne dich doch: „Mir tut keiner was!“ - tja, Willy, du dummer Hund, jetzt siehst du es ja, wie dir keiner was tut!

Gestern haben sie den Willy erschlagen,

und heut, und heut, und heut wird er begraben!

Gestern haben sie den Willy erschlagen,

und heut, und heut, und heut wird er begraben!

Verdammt, Willy! Wärst du doch gestern nur auf dem Mond gewesen, oder auf dem Amazonas in einem Einbaum, oder ganz allein auf einem Gipfel, drei Schritte weg vom Himmel – überall, bloß nicht in dieser unseligen Spelunke!

Ich hab schon morgens gesagt: „Lass uns rausfahren, das Wetter ist so klar, die Berge sind so nah, schwänzen wir ein paar Tage, wie damals in der Herrenschule! Einen Schlafsack und die Welt in der Tasche!“ Aber du hast in aller Frühe schon wieder mal einen sitzen gehabt, und am Abend hast du dann wieder einmal zeigen müssen, dass du doch noch wer bist!

Am Anfang war es ja noch ganz gemütlich. Und natürlich haben wir die alten Geschichten wieder aufgewärmt, wieder mal darum gestritten, wer mit der Frau vom Lehrer Huber rumgemacht hat auf dem Faschingsball. Sentimental sind wir geworden, es war richtig schön, bis dieser Depp an unseren Tisch gekommen ist, mit seinem Dreikantschlüsselkopf – klein, schwammig und braun. Und dann hat er uns gefragt, ob wir beim Bund gewesen sind – naja, das haben wir noch ganz lustig gefunden, und dass er so froh wäre, dass jetzt wieder Ordnung in die rote Staatssauce kommt, und die Jugend würde ja auch wieder ganz vernünftig, und die Bayern wissen es sowieso schon lange, wo es langgeht, politisch. Willy, ich hab genau gewusst, das hältst du nicht lange aus – und dann hat er plötzlich angefangen zu singen, sowas von Horst Wessel. Hinten an den anderen Tischen haben sie schon leise mitgesummt, und deine Birne ist angeschwollen, und plötzlich springst du auf und brüllst:

„Halts Maul – Faschist!“

Still wars, geknistert hats – die Luft war wie eine Wand. Zum Festhalten. Da hätten wir noch gehen können, Willy – aber nein, ich verstehe es ja, du hast bleiben müssen – und dann ging es los an den anderen Tischen: „Geh doch in die Sowjetunion, Kommunist!“ Klar, Willy, da muss man irre werden, wenn es schon wieder so weit ist. Aber trotzdem: „Lass ihn doch gehn!“, hab ich gesagt, „der schadet doch niemandem mehr, der alte Depp!“ - „Nix“, hast du gesagt, „sie alle schaden – die alten und die jungen Deppen!“ Und dann hat der vom Nebentisch plötzlich sein Glas zerschlagen, ganz ruhig, und ist aufgestanden, Willy, du dumme Sau, ich hab dich an der Jacke gepackt und wollte dich rausziehen, obwohl ich es schon nicht mehr geglaubt habe, und du hast dich losgerissen: „Freiheit, das heißt keine Angst zu haben, vor niemandem!“, und bist auf ihn los, und dann hat er halt ausgeholt...

Willy, Willy, wären wir doch nur am Morgen weggefahren, ich hätte dich doch noch gebraucht – wir alle brauchen doch so welche, wie du einer bist!

Gestern haben sie den Willy erschlagen,

und heut, und heut, und heut wird er begraben!

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