Ihr Menschenbrüder, die ihr nach uns lebt,
verhärtet nicht eu'r Herz, so ihr uns seht,
denn wenn ihr ein Erbarmen für uns spürt,
Gott euch vielleicht zur Gnade führt.
Ihr seht uns hier am Galgen baumeln
zu fünft, zu sechst, uns Fleisch, das wir mit
Unrecht ha'm genährt, verfault ist's und zerrissen
die Knochen sind schon fast zu Staub zerfallen
es möge niemand unser elend Los verlachen
betet zu Gott, er möge reinen Tisch uns machen!
Wenn, Brüder, ihr uns flucht, so wollt ihr
doch uns bitte nicht verachten, selbst wenn mit Recht
der Hals uns ward gebrochen - wisst ihr doch
der eignen Triebe bleibt so mancher ewig Knecht.
Könnt ihr, so verzeiht uns, die wir auf dem Weg
zum Sohn der heiligen Maria suchen einen Steg
zu ihm, dass seine Gnade nicht erschöpft sein möge,
die vor dem ew'gen Feuer uns bewahre.
Tot sind wir schon, die Seele nicht entfahre
uns noch dazu: so betet doch zu Gott, er möge alle uns erlösen!
Vom Regen durchgeweicht und auch gewaschen,
vom Sonnenlicht getrocknet und geschwärzt,
die Augen ausgehöhlt von Elstern und von Raben
Barthaar und Brauen auch noch weggefressen,
nie einen Augenblick hier je gesessen,
mal hier, mal dort, ganz wie's dem Wind gefiel
hat er uns hin- und her geworfen,
zerlöchert von den Schnäbeln wie ein Sieb -
ihr habt doch nichts zu schaffen mit n'em Dieb:
so betet doch zu Gott, erlös’ er uns von dieser Welt.
Jesus, du Fürst, der alle konnt' besiegen,
Mach, dass die Hölle uns nicht möge kriegen,
Mach, dass die Hölle uns nicht möge kriegen;
Dort gibt’s nichts zu sagen, nichts zu fragen
Ihr Menschenbrüder hört, hier endet aller Hohn
Betet für uns, erlöse uns doch Gottes Sohn!
Text: FRANCOIS VILLON (1431 - 1463)