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An die Melancholie lyrics
An die Melancholie lyrics
turnover time:2024-12-25 14:59:09
An die Melancholie lyrics

Verarge mir es nicht, Melancholie,

daß ich die Feder, dich zu preisen, spitze

und daß ich nicht, den Kopf gebeugt zum Knie,

einsiedlerisch auf einem Baumstumpf sitze.

So sahst du oft mich, gestern noch zumal,

in heißer Sonne morgendlichem Strahle:

begehrlich schrie der Geier in das Tal,

er träumt' vom toten Aas auf totem Pfahle.

Du irrtest, wüster Vogel, ob ich gleich

so mumienhaft auf meinem Klotze ruhte!

Du sahst das Auge nicht, das wonnenreich

noch hin und her rollt, stolz und hochgemute.

Und wenn es nicht zu deinen Höhen schlich,

erstorben für die fernsten Wolkenwellen,

so sank es um so tiefer, um in sich

des Daseins Abgrund blitzend aufzuhellen.

So saß ich oft, in tiefer Wüstenei,

unschön gekrümmt, gleich opfernden Barbaren,

und deiner eingedenk, Melancholei,

ein Büßer, ob in jugendlichen Jahren!

So sitzend freut' ich mich des Geier-Flugs,

des Donnerlaufs der rollenden Lawinen,

du sprachst zu mir, unfähig Menschentrugs,

wahrhaftig, doch mit schrecklich strengen Mienen.

Du herbe Göttin wilder Felsnatur,

du Freundin liebst es, nah mir zu erscheinen;

du zeigst mir drohend dann des Geiers Spur

und der Lawine Lust, mich zu verneinen.

Rings atmet zähnefletschend Mordgelüst:

qualvolle Gier, sich Leben zu erzwingen!

Verführerisch auf starrem Felsgerüst

sehnt sich die Blume dort nach Schmetterlingen.

Dies alles bin ich - schaudernd fühl' ich's nach -

verführter Schmetterling, einsame Blume,

der Geier und der jähe Eisesbach,

des Sturmes Stöhnen - alles dir zum Ruhme

du grimme Göttin, der ich tief gebückt,

den Kopf am Knie, ein schaurig Loblied ächze,

nur dir zum Ruhme, daß ich unverrückt

nach Leben, Leben, Leben lechze!

Verarge mir es, böse Gottheit nicht,

daß ich mit Reimen zierlich dich umflechte.

Der zittert, dem du nahst, ein Schreckgesicht,

der zuckt, dem du sie reichst, die böse Rechte.

Und zitternd stammle ich hier Lied auf Lied

und zucke auf in rhythmischen Gestalten:

die Tinte fleußt, die spitze Feder sprüht -

nun, Göttin, Göttin laß mich -laß mich schalten!

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Friedrich Nietzsche
  • country:Germany
  • Languages:German, Chinese
  • Genre:Poetry
  • Wiki:https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Nietzsche
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